Interview mit Kommunikationsexpertin Dr. Katja Nagel
Kommunikation in der Corona-Krise
Corona-Krise: Empfehlungen an Führungskräfte in Sachen Kommunikation
Atreus Direktor Stefan Randak im Gespräch mit Katja Nagel, Geschäftsführerin von cetacea. Promovierte Diplom-Kauffrau mit langjähriger Konzern- und Beratungserfahrung.
Liebe Frau Dr. Nagel, warum spielt Kommunikation in der Corona-Krise eine so wichtige Rolle?
In der aktuellen Situation entsteht in den Organisationen ein Verständnisvakuum. Selbst das Management tut sich schwer, schnell und angemessen zu reagieren – und für die Mitarbeiter steigt die Verunsicherung umso mehr. Sie haben ein starkes Bedürfnis, zu verstehen, was die Krise für sie und ihren Arbeitsplatz bedeutet. Hinzu kommt das völlig ungewohnte Arbeitsumfeld mit teilweise 100% Home Office – ohne Flurfunk und die Möglichkeit für informellen Austausch. Führungskräfte müssen in einer solchen Lage größtes Interesse daran haben, regelmäßig die Lage und die nächsten Schritte zu erklären: Wer kein Bild geliefert bekommt, macht sich sein eigenes.
Was könnten Führungskräfte besser machen? Was müssen sie lernen?
All die Fähigkeiten, die wir uns gerade unter Zwang aneignen, müssen wir in Nachhaltigkeit verwandeln. In Deutschland sind wir oft geprägt von einem saturierten und perfektionistischen Habitus, nach dem Motto „Mach mal langsam!“, selbst 100-Prozent-Lösungen erscheinen da oft nicht genug. Das ist gefährlich, denn die globale Wirtschaft ist ja gerade im absoluten Umschwung, siehe die Automobilindustrie. Unternehmen müssen sich überlegen, wie sie das, was sie jetzt notgedrungen tun, nachhaltig für sich nutzen können – um schneller, pragmatischer, ergebnisorientierter zu werden. Das gilt auch und gerade für alle digitalen Werkzeuge und Möglichkeiten.
Aber digitale Kommunikation ist ja auch etwas völlig anderes als persönliche Kommunikation – und fällt deshalb schwerer, oder?
Auf jeden Fall! Nehmen wir das Beispiel Videokonferenz: Im Verhältnis zu einem Präsenzmeeting muss ich bei einer Videokonferenz mein Gesicht besser kontrollieren, weil man dort in der Regel nur diesen Ausschnitt von mir wahrnimmt – abgesehen von der Stimme. Wobei ich eine Videokonferenz einem Telefonat klar vorziehen würde: Es ist wichtig, dass man sich sehen kann. Unser Bedürfnis nach Nähe ist ja ungebrochen. Wir müssen alle dafür sorgen, dass wir auch über Video die Nähe herstellen, die wir brauchen. Vertrauen ist auch im Geschäftsleben unglaublich wichtig, entsteht aber viel besser, wenn wir den Gesamteindruck einer Persönlichkeit haben. Wir gleichen ja permanent unbewusst die Kongruenz von Worten und unserem Eindruck von der Wahrhaftigkeit eines Gegenübers ab: sagt er, was er denkt? Tut er, was er sagt? Je weniger wir vom anderen wahrnehmen, umso schlechter können wir Vertrauen fassen.
Bedeutet das, wir müssen das Kommunikationslevel im digitalen Bereich ausbauen?
Es kommt auf die Qualität der Kommunikation an, nicht auf die Quantität. Das gelingt zum Beispiel durch Antworten auf die richtigen Fragen: Schaffen wir es in Zeiten von Unsicherheit, einen Prozess zu skizzieren? Wo stehen wir als Führungskräfte gerade? Womit beschäftigen wir uns? Welche Optionen wägen wir ab? Womöglich können wir in unsicheren Zeiten noch nicht über die Ergebnisse unserer Arbeit reden, aber über Prozesse. Für die Kommunikation mit Mitarbeitern heißt das zum Beispiel: Kann ich auf den Punkt bringen, was Corona für mein Unternehmen bedeutet? Welche Herausforderungen und Lösungswege liegen vor uns? Wie halten wir die Stakeholder auf dem Laufenden? Hier braucht es auch den Mut als Führungskraft, auch mal zu sagen: Weiß ich selbst noch nicht.
„Vielleicht gibt uns die aktuelle Krise jetzt mal einen kleinen Tritt: Wie könnte hilfreiche Kultur für mein Unternehmen, für den Erfolg meines Unternehmens aussehen?“
Was sind aus Ihrer Sicht aktuell die sechs Top-Empfehlungen an Führungskräfte in Sachen Kommunikation?
- Klartext reden: Es sind deutliche Worte gefragt. Für politische Spiele ist in der Kommunikation kein Platz.
- Als Vorbild wirken: Man kann nicht Wasser predigen und Wein trinken – gerade in unserer westlichen Kultur. Online fällt es allerdings schwerer, Vorbild zu sein, weil alle nonverbalen Messages wegfallen. Explizite Führung wird daher deutlich wichtiger.
- Neue Rituale etablieren: Wenn der Flurfunk oder das Treffen in der Kaffeeküche wegfallen, müssen neue Rituale her. Das kann zum Beispiel ein täglicher Team Call sein.
- Mut aufbringen: In der Geschichte der Menschheit haben lange die Risikoaversen überlebt. Das hatte auch lange Zeit seine Berechtigung. Heute ist der Reflex des Davonlaufens aber der Falsche. Wir brauchen eine richtige Stange Mut, etwa Personen, die tun anstatt nur zu reden.
- Ein offenes Ohr haben: Führungskräfte sind für Mitarbeiter geschäftliche Bezugspersonen und sollten trotz aller eigenen Sorgen ein offenes Ohr für sie haben – auch über die objektive Verwertbarkeit im Unternehmen hinaus.
- Demut üben: Es ist wichtig, zugeben können, dass man nicht alles weiß – ein wesentlicher Bestandteil von Führung!
Liebe Frau Dr. Nagel, herzlichen Dank für das Gespräch!