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Digital Roundtable Energie

Business vs. Klimaschutz? Business mit Klimaschutz!

Klimaschutz, Bezahlbarkeit, Versorgungssicherheit – die Energiebranche steht vor einer Reihe teils widersprüchlicher Herausforderungen. Zugleich treten branchenfremde Spieler in den Markt ein und erhöhen die Dynamik. Wie wirkt sich das auf etablierte Geschäftsmodelle aus? Wie können sich klassische Energieversorger neu erfinden? Wie verändert sich die Zusammenarbeit und Kultur und nicht zuletzt das Verhältnis zum Kunden?  

Darüber sprachen Atreus Direktor Martin Schulz sowie Direktorin Jessica Breuer am 8. Oktober 2021 beim Atreus Roundtable Energie mit Experten von Horváth, The Mobility House und der EnBW. Eine Zusammenfassung in 7 Thesen:

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1. Partnerschaften sind der Treibstoff der Transformation. 

Digitalisierung und Dezentralisierung verändern die Energiewirtschaft grundlegend. Sie eröffnen Möglichkeiten für völlig neue Geschäftsmodelle von digitalem Energiemanagement über Smart Grids bis hin zu Mobilitäts- und Connected-Home-Anwendungen. Wie Robert Hienz (CEO des Grown-ups The Mobility House) betont, rufen diese Trends neue branchenfremde Spieler auf den Markt: “Ich bin deshalb fest davon überzeugt, dass alle Spieler Partnerschaften schließen müssen.“ Atreus Direktor Thomas Gläßer ergänzt, dass man den eigenen schnellen Erfolg innerhalb dieser Kooperationen zwangsläufig etwas zurückstellen müsse. Es geht um Loyalität und langfristiges Denken.

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2. Wer den Kunden nicht in den Mittelpunkt stellt, wird verlieren.

Neue Player in der Energiewirtschaft haben eines gemeinsam: Sie gehen immer radikal von den Bedürfnissen der Kunden aus und unterbreiten ihnen personalisierte digitale Angebote. „Kunden sind das unverzichtbare Fundament für künftigen Erfolg“, sagt Dr. Norbert Schürmann, Senior Advisor beim Beratungshaus Horváth und ehemals Vorstand der Lechwerke AG in Augsburg. „Ich muss immer wieder neu verstehen, wie der Kunde tickt, sonst kann ich neue Chancen nicht wahrnehmen.“ Laut Thomas Gläßer stehen gerade klassische Energieunternehmen vor der Notwendigkeit, Kundenbedarfe frühzeitig zu antizipieren und daraus neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Der zielorientierte Umgang mit Kundendaten ist dafür unerlässlich.

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3. Klassische Energieversorger müssen die Perspektive weiten, um weiter mitspielen zu können. 

Zunehmend müssen auch traditionelle Unternehmen auf Innovation setzen, fordert Atreus Advisor Gläßer. Wie der entsprechende Umbau eines Energieversorgers gelingen kann, hat die EnBW vorgemacht, berichtet Jürgen Stein, der bei dem Konzern die Bereiche Innovation und Kritische Infrastruktur verantwortet. Die EnBW hatte vor dem Unglück in Fukushima einen sehr hohen Anteil an Atomstrom im Portfolio. Nach dem Atomausstieg stand sie vor der Herausforderung, ihr Geschäftsmodell grundlegend zu reorganisieren. Insbesondere galt es, den Anteil Erneuerbarer Energien signifikant auszubauen und neue Geschäftsfelder an den Start zu bringen. „Der Umbau hat funktioniert“, sagt Stein: „Unsere Ziele für 2020 haben wir bereits 2019 erreicht.“ Die EnBW setzt für die kommenden Jahre auf drei strategische Geschäftsfelder: Intelligente Infrastruktur für die Kunden, systemkritische Infrastruktur und nachhaltige Erzeugungsinfrastruktur. Bis 2035 will der Konzern klimaneutral werden. 

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4. Neue Geschäftsmodelle blicken über Branchengrenzen hinaus. 

Robert Hienz ist CEO des Technologie-Grown-ups The Mobility House, das eine emissionsfreie Energie- und Mobilitätszukunft gestalten will. Er stellt fest, dass mit der zunehmenden Verbreitung von Elektroautos eine neue Assetklasse entsteht: Autobatterien, deren Gesamtwert sich 2030 auf 65 Mrd. Euro belaufen dürfte, die aber nur 4 % der Zeit genutzt werden. „Dieses Geld brachliegen zu lassen, kann sich eine Volkswirtschaft nicht leisten.“ Die Mission von Mobility House lautet daher: Erneuerbare Energien zur vorübergehenden Speicherung in Autobatterien einspeisen. Dieser Ansatz, so Hienz, bringe uns nicht nur den globalen Emissionszielen näher (jährliche Ersparnis von 55 Mio. Tonnen CO2), sondern schaffe darüber hinaus finanziellen Wert in Höhe von 650 Euro pro Fahrzeug und Jahr. Auf der kleinen Atlantikinsel Porto Santo arbeitet The Mobility House schon heute am Aufbau eines entsprechenden Ökosystems. Sobald auf der Insel 500 Elektroautos fahren, ist Porto Santo dank dieses Systems klimaneutral.

5. Traditionelle Energieunternehmen agieren zunehmend „beidhändig“. 

Jürgen Stein von der EnBW trennt klar zwischen dem Standardgeschäft und dem explorativen Geschäft eines Energieversorgers. Im Standardgeschäft gilt es, strategische Ziele wie Kosten und Gewinn zu erreichen, es geht um Effizienz und Risikominimierung, etwa zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit. Im explorativen Geschäft baut die EnBW dagegen neue Business-Modelle auf. Hier sind Innovation und Wachstum, Risikobereitschaft und Tempo gefragt. Beide Modelle haben das Recht, nebeneinander zu existieren, ergänzt Thomas Gläßer, und EnBW-Manager Stein spricht von der „Ambidextrie“ bzw. „Beidhändigkeit“: Energieunternehmen in der Transformation müssen einerseits ihr bestehendes margenstarkes Geschäft in gewohnter Manier beibehalten und andererseits neue Geschäftsmodelle entwickeln, die aber nach signifikant anderen Logiken gesteuert und betrieben werden.

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6. Neben der Arbeitskultur muss sich auch das Recruiting wandeln. 

Die neue Aufstellung der Energieversorger bedingt auch kulturelle Veränderung. Zunehmend müssen interdisziplinäre Teams gebildet und klassische Hierarchien aufgebrochen werden. Außerdem gilt es, die ganze Belegschaft in den Change-Prozess mitzunehmen. Advisor Norbert Schürmann betont in diesem Zusammenhang die Vorbildfunktion der Geschäftsführung. Hinzu kommt, dass viele Energieunternehmen die benötigten neuen Kompetenzen noch nicht an Bord haben. Sie stehen laut Thomas Gläßer vor dem Risiko, im War for Talents nicht attraktiv genug zu sein, um dieses Know-how in die Organisation zu tragen. Jürgen Stein beobachtet, dass die Corona-Pandemie viele Unternehmen zum Umdenken gebracht hat, was alternative Arbeitsweisen angeht. Er betrachtet die erzielten Fortschritte als Booster, um neue Mitarbeiter für sich gewinnen zu können – etwa durch neue Homeoffice-Regelungen.

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7. Die Politik muss die Rahmenbedingungen für den Energiesektor schnell reformieren.

Der Ausbau der Erneuerbaren Energien war ein großes Thema im Bundestagswahlkampf 2021, und die Ampelkoalition hat sich ambitionierte Ziele gesetzt. Die Experten in der Runde sind sich einig, dass vor allem die Geschwindigkeit steigen muss. Es gilt also, Bürokratie und Genehmigungsverfahren schnell zu verschlanken und zu vereinfachen, wie nicht zuletzt die schleppende Gesetzgebung zu Smart Metern gezeigt haben. Robert Hienz hat dazu eine klare Meinung: „In Deutschland will man alles regulatorisch lösen. Wir müssten aber mehr auf Marktmodelle und neue Geschäftsmodelle setzen.“ Bedeutsam ist das auch deshalb, weil in einer aktuellen Atreus-Umfrage knapp 80 Prozent der Teilnehmer Deutschland bei der Digitalisierung in der Energiewirtschaft abgehängt oder zumindest nicht auf den vorderen Plätzen sehen. Sollte die Politik die Rahmenbedingungen verbessern, könnte Deutschland hier schnell aufholen.